'Jesus, I'm not going to be one of those people who sits around talking about what they're gonna do. I'm just going to do it.' - John Green

Samstag, 26. Juli 2014

3. Rundbrief



Shalom liebe Familie und Freunde,
Shalom liebe Bekannte und Interessierte.

Es ist wieder einmal die Zeit gekommen euch von mir und meinen Erlebnisse während meines Auslandsjahres in Israel zu berichten – ein wenig verspätet, das ist mir bewusst, aber ich war sehr damit beschäftigt mein Leben hier zu leben. Doch zu aller erst: mir geht es trotz der momentanen Situation im Land gut und ich fühle mich soweit sicher. Doch dazu später mehr.
Das Thema meines dritten Rundbriefes ist mir überlassen und ich habe mich sehr lange schwer getan bei der Entscheidung. Israel und mein Jahr sind so vielfältig, ich könnte pausenlos berichten und schreiben und könnte mich dabei nicht auf ein Thema festlegen. Die Arbeit? Davon habe ich euch bereits erzählt. Das Land und die Leute in Israel? Auch das war bereits Thema eines meiner Rundbriefe und dass ich bereits viel gereist bin konnte man aus meinem Rundbriefen auch schon entnehmen.
Somit habe ich mich entschlossen aus gegebenem Anlass über den aktuellen Nahostkonflikt zu schreiben und von meinen Erfahrungen zu berichten. Mir wurden in letzter Zeit nämlich immer wieder dieselben Fragen gestellt und ich möchte sie soweit es geht beantworten.

Alles begann Anfang Juni, als drei israelische Jugendliche in der Nähe der palästinensischen Gebiete beim Versuch zu trampen, entführt worden sind. Die israelische Regierung beschuldigte die radikalislamistische Hamas, welche im Gaza-Streifen regiert, ohne handfeste Beweise. Während der zweiwöchigen intensiven Suche im ganzen Land und zahlreichen Festnahmen in der Westbank wurden die Vermutungen durch Video und Sprachbotschaften der Hamas verstärkt. Schlussendlich wurden die drei israelischen Jugendlichen in der Nähe von Hebron, eine Stadt in der Westbank, welche aber jüdische Siedlungen birgt, tot aufgefunden. Bis heute gibt es noch keinen Hieb und Stichfesten Beweis, wer diese Jugendlichen ermordet hat, dennoch beharrt die israelische Regierung darauf, dass die Hamas dafür verantwortlich ist.
Nach der Auffindung  der Leichen entwickelten sich massive Aufstände in einigen arabischen Städten und vor allem in Ost-Jerusalem. Der Höhepunkt dieser Ausschreitungen war der Fund eines toten arabischen Jugendlichen, der beim lebendigen Leibe verbrannt wurde, was sich hinterher herausstellte. Die Israelis wurden eines Racheaktes beschuldig, was leider auch den Tatsachen entspricht, wie man mittlerweile weiß. Der Hass auf beiden Seiten war unbeschreiblich und vor allem unbegreiflich groß und der Druck in der Gesellschaft Vergeltung für das eigene Volk zu bekommen, wuchs von Stunde zu Stunde. Am Montag, den 07. Juli flogen die ersten Raketen aus Gaza nach Israel. Israel feuert seit dem genau so zurück und ist 10 Tage später in Gaza einmarschiert. Und nun herrscht seit 19 Tagen Krieg und ein friedliches und langfristiges Ende ist noch nicht in Sicht.

An diesem Montag, an dem alles eskalierte, ist einer meiner engsten Freunde aus Deutschland zu mir gekommen, um meine Heimat auf Zeit zu erkunden. Bis dahin war der Konflikt für mich noch so unendlich weit entfernt, denn Tel Aviv wird zurecht oft ‚die Blase‘ genannt, an der jegliche Unruhen abprallen. Deswegen versicherte ich Klara auch, dass alles in Ordnung sein wird und wir saßen montags abends am Strand und genossen das Leben.
Die Blase platzte aber einen Tag später. Von der Arbeit aus machten wir am nächsten Tag einen Ausflug in den Norden des Landes, ich hatte Klara mit im Gepäck und wir genossen einen wunderschönen Nachmittag in einem Nationalpark mit Naturpools und leckerem Essen. Doch schon bald kamen die ersten Anrufe von Freunden und Familie aus Tel Aviv und anderen südlicher gelegenen Teilen des Landes, dass es Raketenalarm in Tel Aviv gab. So langsam aber sicher schlich sich doch ein unbehagliches Gefühl bei mir ein. Was ein Glück, dass ich nicht unvorbereitet vor Ort war, dachte ich mir zu dem Zeitpunkt. Kaum wieder zu Hause checkten wir alle die Nachrichten und brachten eine schlaflose Nacht hinter uns. Die nächsten Tage wurden wir morgens vom Alarm geweckt und ich machte meine erste Erfahrung mit einem Bunker. Ja, ein Bunker. Sowas kennt man doch bloß aus einem Kriegsfilm, oder? Leider kann ich das jetzt nicht mehr von mir behaupten. Der Bunker, welcher sich in der untersten Etage unseres Hauses befindet und sonst eigentlich als Abstellkammer dient, war zum Treffpunkt der Nachbarn geworden. Nun habe ich nach fast einem Jahr auch mal entdeckt, wer alles in meinem Haus wohnt – sehr liebe Menschen, die einem andauernd versichern, das alles ok ist und uns nichts passieren wird.
Und ja, so ist es meistens auch – alles ok. Denn Dank des israelischen Raketenabwehrsystems ‚Iron Dome‘ werden so gut wie alle Raketen in der Luft abgeschossen und treffen den israelischen Boden gar nicht erst. Meine Angst von einer Rakete getroffen zu werden, ist somit unheimlich klein. Das, was mich am Anfang so fertig gemacht hat, war der psychische Druck in dieser ungewohnten Situation. Ich befand mich auf einmal Mitten in einem Krieg und er war doch nicht mehr so weit weg, wie ich immer geglaubt habe. Ich habe die Nächte kaum geschlafen, da ich bei jedem Geräusch hochgeschreckt bin. Und das nicht nur in der Nacht. Auch bei Tag haben mich die anfahrenden Autos, die wie eine beginnende Sirene klingen, fast um den Verstand gebracht und die Krankenwagen haben sogar ihre Melodie geändert, um die Bevölkerung nicht allzu sehr zu verschrecken. Sowieso bin ich bis jetzt noch unheimlich geräuschempfindlich.
Am Wochenende bin ich dann mit Klara und Ursula, meiner Mitbewohnerin in den Norden nach Kiryat Tivon gefahren, wo Roman und Malin von meiner Organisation ihr Jahr verbringen. Im Norden ist es ruhig, dort haben sie noch gar nichts außerhalb der Medien mitbekommen.  Wir genossen dann ein sehr entspanntes und ruhiges Wochenende in Ruhe mit vielen intensiven Gesprächen. Ich merkte erst da, dass ich sehr müde und erschöpft von der mir so neuen Situation war. Ich war unheimlich dankbar, dass Klara in dieser Situation da war. Natürlich war es anders als gedacht und wir mussten viele unserer Pläne verwerfen. Dennoch hatten wir eine schöne gemeinsame Zeit und haben es uns nicht nehmen lassen Tel Aviv zu erkunden. Wir waren schon ein wenig eingeschränkt, dennoch geht das Leben weiter. Klara hat einen unheimlich kühlen Kopf bewahrt, das hat mir sehr viel Kraft gegeben. Mindestens genau so sehr wie die vielen Gespräche, die wir geführt haben.

Ich habe selbstverständlich darüber nachgedacht, ob ich mein Jahr früher beende und nach Hause komme. Aber ich habe mich dagegen entschieden. Ich bleibe hier in Israel, da es für mich kein Urlaub ist und mal ‚eben‘ Koffer packen bedeuten würde, denn es ist das letzte Jahr mein Leben gewesen. Aus diesem Grund bin ich davon überzeugt, dass ich die Situation vor Ort für mich persönlich am besten einschätzen kann. Es mag sein, dass mich viele Leute nicht verstehen und nicht nachvollziehen können, dass ich hier bleibe. Ich jedoch fühle mich nicht persönlich bedroht und kann mein Leben mittlerweile so weiterleben wie zuvor. Ich kann dennoch nach Tel Aviv fahren, an den Strand gehen und meiner Arbeit im Kfar Ofarim nachgehen, denn die Situation hier im Zentrum von Israel ist für mich Normalität geworden. Ich weiß was im Falle des Alarms zu tun ist und halte mich auch daran, denn mir ist mein Leben lieb. Und es geht mir gut, was wohl das Wichtigste sein sollte.

Wie sich die Situation weiter entwickeln mag? Wer weiß das schon. Jeden Tag sagen die Nachrichten und vor allem die Leute etwas anderes, jeden Tag wird es in Gaza schlimmer und schlimmer. Andauernd wird um eine Waffenruhe verhandelt, aber wie soll diese zustande kommen, wenn beide Parteien unbedingt ihre Interessen vertreten haben wollen und diese unterschiedlicher nicht sein könnten?
Am Anfang waren die Israelis alle sehr gelassen, haben Witze gemacht und gesagt, dass dieser Krieg nur einer von vielen ist und doch ‚höchstens noch zwei bis drei Tage‘ geht. Jetzt sind wir schon bei Tag 19 angekommen, keine Besserung ist in Sicht und auch bei den Israelis merkt man, dass die Unruhe angekommen ist. Sie nehmen die Situation mittlerweile doch ernst, man trifft nun auch Nachbarn im Bunker, die vorher lieber ihren Kaffee zu Ende getrunken haben und nun heißt es ‚das geht bestimmt noch drei bis vier Wochen‘. Aber niemand weiß wirklich, wohin das alles noch führen wird.

Eine der heikelsten Fragen – wie sehe ich den Krieg zwischen der in Gaza regierenden Hamas und Israel? Wie ich bereits schon mehrere Male erwähnt habe, werde ich mich nicht auf eine Seite schlagen. Das ist auch in diesem Fall wieder nahezu unmöglich.
Ich finde es nicht richtig, dass in diesem Krieg, der hauptsächlich aus Hass entstanden ist, die Zivilisten diejenigen sind, die leiden müssen. Die Zahl der unschuldigen toten Zivilisten ist grauenhaft und hätte sicher vermieden werden können. Was sich in Gaza zuträgt muss aufhören – so schnell wie möglich. Die Intensität dieses Krieges ist so stark und anhaltend, dass es Menschen in beiden Regionen gibt, die nicht mehr einkaufen gehen können, die nur noch in ihrem Bunker hausen, aus Angst vor der nächsten Rakete. Die Zahl der zivilen Opfer in Israel ist nur deswegen so gering, weil es das Raketenabwehrsystem gibt. Ohne den Iron Dome, würde es hier genau so aussehen wie in Gaza.

Nun habe ich noch 25 Tage in Israel vor mir und ich hoffe von ganzem Herzen, dass sich die Situation nicht verschlimmert und ich die Möglichkeit habe, meine letzten Wochen zu genießen. Was ich hier erlebt habe, hat mich sehr geprägt, aber es war eine Erfahrung, die ich bereit war zu tragen, als ich mich für Israel entschieden habe. Es ist erschreckend, das Land, das sich ich in diesem Jahr in mein Herz geschlossen habe, in einem Krieg zu sehen. Aber dennoch kann ich nur nochmal betonen, dass es mir gut geht und ich solange es mir möglich ist, bis zum Schluss hier bleiben werde. Denn ich fühle mich sicher und hoffe weiterhin auf einen langanhaltenden Frieden. Denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Einen lieben Gruß geht raus in die Heimat! Vor allem an Judith und Jule, die ebenfalls von der evangelischen Kirche im Rheinland aus in Israel waren, aber nun vorzeitig zurückgekehrt sind. Die Situation in Rishon LeZion, im Süden von Israel war um einiges intensiver und kräfteraubender als zum Beispiel bei mir und somit haben sie sich für die Rückreise entschieden. Thomas, unser Leiter hat gesagt, dass es viel Mut kostet zu bleiben, und eben so viel Mut zu gehen. So sehe ich das auch, und ich denke ganz häufig an euch und freue mich euch auf dem Seminar Ende August wieder zu sehen.

Ich danke von ganzem Herzen meiner Familie, der ich leider so viele Sorgen bereite und das dabei gar nicht möchte. Ich bin so dankbar, dass ihr mir so viel Vertrauen entgegen bringt und mich unterstützt, wo es nur geht. Außerdem danke ich meiner Organisation der evangelischen Kirche im Rheinland, die für uns zur Stelle ist.
Bis Bald, Laura

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