Freiwilliger Friedensdienst 2013-2014
Liebe
Unterstützer, Liebe Volontäre, Liebe Freunde und Familie,
ich
befinde mich nun seit zwei ein halb Monaten in Israel, meiner Heimat für ein
Jahr, und frage mich wo die Zeit geblieben ist. Bin ich nicht gestern erst mit
meinen sieben Mitvolontären in Tel Aviv am Flughafen angekommen? Und jetzt ist
schon die Zeit für meinen ersten Rundbrief gekommen.
Seit
August habe ich schon unheimlich viele Eindrücke in Israel gewinnen können. Ich
bin viel nach Jerusalem und zum Toten Meer gereist, habe interessante Menschen
getroffen und Erfahrungen gemacht, die mir bis zu diesem Auslandsaufenthalt
unbekannt waren. Darüber könnte ich euch jetzt in meinem Rundbrief erzählen,
aber nein, das Thema wird meine Arbeit im Kfar Ofarim sein, denn dies ist der
wesentliche Teil meines Lebens in Israel.
Zusammen
mit Denise, die ebenfalls mit meiner Entsendeorganisation der evangelischen
Kirche im Rheinland nach Israel gelangt ist, lebe und arbeite ich zusammen. Wir
wohnen in einer 5er-WG in Ramat HaSharon, eine Stadt an der nördlichen Grenze
zu Tel Aviv. Die Wohnlage ist Ideal, denn wir wohnen an einer belebten
Hauptstraße, die alles besitzt, was man zum Leben braucht: Supermärkte, Banken,
Klamottengeschäfte, Cafes und Restaurants. Außerdem trennen uns nur 20 Minuten
Fußweg von unserer Arbeitsstelle, die sich wiederum schon in Tel Aviv befindet.
Das
Kfar Ofarim, welches im Jahre 1988 von ALUT gegründet wurde, ist eine Wohn- und
Betreuungseinrichtung für erwachsene Autisten. Die Autisten, welche zwischen 20
und 60 Jahre alt sind, werden im Kfar liebevoll ‚Friends‘ genannt, was ich auch
in diesem Rundbrief beibehalten werde. Insgesamt verbringen täglich 101 Friends
ihren Tag zusammen im Kfar, wobei davon 72 Friends in den Häusern der
Einrichtung leben und die übrigen Friends so genannte Externis sind, die zu
Hause leben. Es gibt insgesamt 8 Häuser, welche aber eigentlich Wohnbereiche
sind, in denen 8 bis 9 Friends leben und von 2 bis 3 Guides betreut werden.
Jeder Friend hat ein eigens Zimmer und teilt sich mit 2-3 Friends ein
Badezimmer. Zu dem Wohnbereich gehört noch ein Couchbereich mit Fernseher,
Essbereich und eine Küche, die aber für die Friends größten Teil nicht zugängig
ist.
Die
Mitarbeiter des Kfars arbeiten in 3 unterschiedlichen Schichten – Frühschicht,
Spätschicht und Nachtschicht. Ich bin für das Jahr in der Frühschicht
beschäftigt und arbeite von Sonntag bis Donnerstag, da das Wochenende in Israel
auf den Freitag und Samstag fällt. Mein Tag im Kfar beginnt um 7 Uhr in der
Frühe. Mein Weg führt mich nach dem Einchecken in mein Haus, welches ‚Beit
Verit‘ genannt wird. Dort leben 9 Friends, die ich zusammen mit einer sehr herzlichen
Mitarbeiterin für den Tag herrichte. Das bedeutet, dass ich sie motiviere
aufzustehen, sie gegebenenfalls dusche, ihnen helfe sich anständig die Zähne zu
putzen und sich zu kleiden. Einige Friends können schon viel selbstständig und
das Wecken funktioniert hier sehr schnell, andere stellen wiederum meine Geduld
jeden Morgen auf die Probe. Da Israel aber insgesamt ein sehr guter Ort ist, an
dem man lernt ein geduldiger Mensch zu werden, schaffe ich es doch jedes Mal
aufs Neue mit meinem gebrochenen motivierenden hebräischen Worten, dass alle
Friends für das Frühstück bereit sind. Zu meinen Aufgaben am Morgen gehört
ebenfalls, dass ich das besagte Frühstück zubereite und die speziellen
Vorlieben oder Diäten der Friends berücksichtige. Nachdem die Friends ihre
Medizin bekommen haben, geht es dann um 8:30 in die verschiedenen Gruppen.
Das
Kfar bietet eine Vielfalt von Aktivitäten für die Friends. Es gibt zum einen
Gruppen, die im Kfar bleiben und sich beispielsweise um den Garten kümmern, mit
Keramik arbeiten, oder aber kleine Arbeiten erledigen, wie zum Beispiel
Schrauben sortieren. Zum anderen gibt es aber auch Gruppen, die das Kfar
verlassen und außerhalb arbeiten. Einige fahren zur Safari, andere zu Nokia
oder zu anderen Arbeitscentern. Meine Gruppe fährt ebenfalls nach Außerhalb,
nämlich in eine Grundschule im Nachbarort, wo es einen Kunstraum für die
Friends gibt. Vor zwei Monaten hätte ich euch jetzt gesagt, dass ich in der
Malgruppe bin, doch eigentlich ist diese Beschreibung nicht treffend. Es ist
eine Kreativgruppe, die mit allmöglichen Materialien bastelt. Eigentlich
arbeite ich in der Gruppe mit zwei Guides zusammen, doch findet momentan ein
Wechsel statt, weswegen ich die letzten Wochen mit einem Guide, welcher mich
unheimlich nett aufgenommen hat und mir vieles beibringt, zusammen die Friends
betreut habe. Je nach Wochentag fahren 6
bis 8 Friends mit einem Kleinbus in die Grundschule. Nach einer Morgenrunde mit
Tee und der Vorstellung des heutigen Themas beginnen die Friends mit ihren Lieblingsbeschäftigungen.
In den ersten Wochen waren wir sehr kreativ, da der September voll von
Feiertagen ist und die Friends somit feiertagstypische Dinge anfertigen
konnten. Es wird gemalt – egal ob mit Wachsmalstiften, Buntstiften oder
Wasserfarben, mit Gips und Ton gebastelt oder Collagen geklebt. Eines meiner
kleinen Highlights war das Drucken mit Linolplatten, da es mich an meinen
Kunstunterricht in der Schule erinnerte und nicht nur den Friends, sondern auch
mir total viel Spaß gemacht hat.
Ich
habe schon mit einigen Friends in der Gruppe zusammen gearbeitet, wobei meine
Hauptaufgabe darin besteht sie zu motivieren. Ich gebe ihnen verschiedene
Farben, damit das Bild nicht zu eintönig wird, helfe dabei vernünftig mit Gips
zu arbeiten oder aber male die Vorlage für die Collage, damit diese mit
farbigen Zeitungsschnipseln beklebt werden kann. Um halb 11 gibt es dann eine
Pause, in der Tee oder Kaffee getrunken wird und die Friends selbstständig
Sandwiches zubereiten. Jeder übernimmt eine Aufgabe wie zum Beispiel den Tisch
zu decken, das Besteck zu verteilen oder aber zu spülen. Danach arbeiten die
Friends wieder an ihren Werken weiter und gehen abwechselnd für 20 Minuten auf
ein Laufband. Jeden Tag achte ich darauf, dass auch jeder sein Sportprogramm absolviert
und protokoliere wer von welcher Uhrzeit an gelaufen ist. Um 13 Uhr gibt es
dann eine Abschlussrunde, in der jeder für seine Arbeit gelobt wird und der Bus
fährt uns wieder zurück ins Kfar. Zurück im Kfar geht es noch einmal zurück in
die jeweiligen Häuser, wo um 14 Uhr gemeinsam zu Mittag gegessen wird. Danach
gehen die meisten Friends auf ihre Zimmer und die Spätschicht löst einen um 15
Uhr ab, was für mich bedeutet, dass ich Feierabend habe.
Bei
meiner Arbeit in der Kreativgruppe ist es wirklich spannend die einzelnen
Persönlichkeiten zu beobachten, denn alle sind völlig unterschiedlich und gehen
ihren eigenen Gewohnheiten nach. Dolev (*) zum Beispiel spricht bis auf ein
paar wenige undeutliche Wörter nicht, malt unglaublich gut, er muss aber auch dazu
bereit sein und liebt Süßigkeiten. Das Wichtigste aber ist sein Notizbuch, in
dem er jeden Ablauf und Schritt, sei es der Gang zur Toilette, festhält.
Alex
(*) habe ich schon sehr in mein Herz geschlossen. Er ist ein großer, schmaler
Kerl mit einem kleinen Schnäuzer und einer Sprechstimme, die sich immer wie ein
Gesang anhört. Dabei liebt er auch noch tatsächlich das Singen und Tanzen und
somit ist jeder Tag mit ihm ein Genuss. Eigentlich malt er jeden Tag dasselbe
Muster mit unterschiedlichen Farben, doch finde ich, dass er wirklich Talent
hat und jedes Mal ein Kunstwerk entsteht. Interessant ist, dass er sowohl
englisch, als auch ein wenig deutsch versteht und ich somit versuche so viel
wie möglich auf den verschiedenen Sprachen mit ihm zu sprechen. Mittlerweile
antwortet er mir immer besser auf der jeweils gesprochenen Sprache und kennt
mich auch schon beim Namen. Das war ein wirklich tolles Erfolgserlebnis, dass
ich von diesem Friend erkannt und angenommen wurde.
Mit
Natan (*) verbringe ich die meiste Zeit, da er nicht nur in meiner Gruppe,
sondern auch in meinem Haus ‚Beit Verit‘ ist. Natan ist leider sehr langsam,
weswegen das Arbeiten mit ihm sehr viel Geduld erfordert. Aber beginnt er zu
malen oder zu kleben, so macht er das mit Freude und man kann ab und zu sehen,
wie trotz seines immer gesenkten Gesichts ein Lächeln auftaucht. Im Laufe der
Zeit ist mir immer bewusster geworden wie viel Natan eigentlich zuzutrauen ist
und somit habe ich schon viele Collagen, einige Kunstwerke aus Ton, eine Schale
aus Gips und natürlich auch viele Bilder mit ihm gestaltet. Auch wenn der
künstlerische Bereich nicht unbedingt zu meinen Stärken gehört, habe ich diese
Herausforderung angenommen und bin froh darüber. Ich habe diese Gruppe schon
sehr in mein Herz geschlossen und freue mich jedes Mal am meisten auf diese
Zeit des Tages. Ich bin hier sehr frei in meinen Möglichkeiten und staune immer
wieder darüber, wozu die Friends in der Lage sind. Da macht es umso mehr Spaß
einige Male am Tag ‚kol hakavod‘ (in etwa ‚gut gemacht‘) zu sagen!
Die
Arbeit im Kfar ist oftmals anstrengend, erfordert viel Geduld und
Strapazierfähigkeit. Man ist für sehr vieles verantwortlich, da man als
Volontär wie ein gleichwertiger Mitarbeiter behandelt wird. Es gibt auch einige
schwierige Fälle im Kfar, mit denen man lernen muss umzugehen und dabei seine
Grenzen kennenlernt. Anfangs fiel es mir auch schwer mit der typischen
israelischen Gelassenheit umzugehen und ich entdeckte, dass doch mehr ‚typisch
deutsch‘ in mir steckt, als ich vielleicht von mir erwartet hätte. Auch die
Sprachbarriere stellte sich zu Beginn als große Hürde heraus, da die Friends
mehr mit einem sprechen, als ich dachte. Doch man gewöhnt sich so unglaublich
schnell an alles, vor allem dann, wenn man so herzlich und liebevoll
aufgenommen wurde, wie ich. Die Mitarbeiter im Kfar versuchen es einem so Recht
wie möglich zu machen und fragen oft mehrere Male am Tag nach, ob alles
gelingt. Unsere zuständige Sozialarbeiterin organisiert einmal im Monat ein
Treffen, bei dem sowohl negative als auch positive Erlebnisse besprochen und
unter den ca. 20 deutschen Volontären geteilt werden können. Was die Sprache
betrifft, so war ich sehr überrascht wie schnell man die nötigsten Begriffe
lernt. Nach zwei Monaten kann ich wohl noch lange kein hochphilosophisches
Gespräch führen, doch kann ich nun schon auf viele Fragen der Friends antworten
und komme immer mehr mit ihnen in Kontakt und das ist genau das, was ich an der
Arbeit mit den Friends so faszinierend finde. Je näher man die einzelnen
Persönlichkeiten kennenlernt, desto interessanter werden sie und man muss sie
einfach mögen, wenn sie dich beispielsweise an die Hand nehmen und fragen, ob
du ihnen eine Geschichte vorliest.
Ich
freue mich auf meine weitere Zeit hier in Israel und bin gespannt, was ich noch
alles erleben darf. Ich genieße, dass ich über so viel Neues staunen kann,
Dinge entdecke und lerne, von denen ich vorher nichts wusste, doch dabei lerne
ich auch einiges aus der vertrauten Heimat zu schätzen. Ich bin vielen Menschen
von ganzem Herzen dankbar, dass sie dazu beigetragen haben meinen Freiwilligen
Friedensdienst zu ermöglichen. Ich danke allen meinen finanziellen
Unterstützern, der evangelischen Kirchengemeinde Wuppertal-Langerfeld, meinen
Freunden und ganz besonders meiner Familie, die bedingungslos hinter mir steht.
Und ein ganz besonderer Dank geht an meine Organisation, die evangelische
Kirche im Rheinland, ohne die ich gar nicht hier wäre.
Bis
zum nächsten Rundbrief,
Lehitraot,
eure Laura
(*)
Namen geändert